Fünf Fragen an …: Carla Heher

Frau Heher, was verstehen Sie unter Diversität im Kinderbuch? Was macht ein diversitätssensibles Buch aus?

Unter Diversität in Kinder- und Jugendbüchern verstehe ich, dass eine realistische und authentische Darstellung unserer gesellschaftlichen Vielfalt immer mitgedacht wird: Unterschiedliche Lebensrealitäten, Identitäten, Familienformen, Fähigkeiten und Erfahrungen, die Kinder in ihrer Umwelt wahrnehmen und selbst verkörpern. Ich achte darauf, wie differenziert Figuren und Lebensrealitäten erzählt werden. Es geht weniger um Repräsentation um jeden Preis, sondern um Authentizität und Kontext.
Kinder sollen sich in Büchern in ihrer Lebenswelt wiederfinden können und zugleich neue Perspektiven kennenlernen. Am besten sind Kinderbücher, wenn sie gute Geschichten erzählen und/oder fundiertes Wissen vermitteln und im Idealfall auch zur Reflexion anregen. 

Seit wann beschäftigen Sie sich mit dem Thema und warum liegt Ihnen das so am Herzen?

Ich war 2012 auf der Suche nach Kinderbüchern für mein erstes Kind und war überrascht über das Angebot. Damals war es nicht einfach, Bücher zu finden, die keine Klischees reproduzieren. Aus diesem Mangel heraus hat sich mein Projekt entwickelt. 
Eine große Rolle spielt das Thema auch in meiner hauptberuflichen Tätigkeit. Ich unterrichte an einer öffentlichen Wiener Volksschule, aktuell eine Deutschförderklasse. Viele meiner Schüler*innen gehören der Gruppe an, der man nachsagt, sie seien nicht zum Lesen zu begeistern. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass das einfach nicht stimmt. Sie brauchen nur die richtigen Bücher, um einen Zugang zum Medium Buch zu finden. 

Ist Diversität in jedem Kinderbuch wichtig und gibt es so etwas wie unpolitische Kinderbücher?

Kinderbücher vermitteln immer Werte und Normen. Je mehr man sich mit dem Thema beschäftigt und auch auf Debatten, Diskurse und Praktiken weltweit blickt, umso klarer wird WIE politisch und gesellschaftlich relevant Kinderbücher eigentlich wirklich sind. Ich denke da an die USA und den Book Ban, an die Ukraine, wo der Kulturkrieg schon lange auch am Kinderbuchmarkt spürbar ist oder an Ungarn, wo sich Viktor Orban auch medial stark auf Kinderbücher eingeschossen hat. 

(Vermeintlich) diversitätssensible Kinderbücher sind mittlerweile auch zu einem Trend, und somit zu einem Markt geworden. Gibt es Momente, in denen Ihnen der Trend zu weit / in die falsche Richtung geht? Wonach gehen Sie bei der Unterscheidung?

In den letzten Jahren habe ich unzählige Bücher gelesen und es ist erfreulich, dass der Buchmarkt auf die große Nachfrage nach vielfältigen Kinderbüchern reagiert hat. Vielfalt ist allerdings mehr als ein Trend. Es reicht meiner Meinung nach nicht aus, über Diversität zu erzählen oder sie abzubilden. Und schon gar nicht kann es darum gehen, bei Büchern eine Checkliste abzuhaken. Es geht  vielmehr um die Haltung dahinter. Wichtig ist, dass Kinder Zugang zu einem breiten Angebot und einer guten Auswahl haben. 

Welche Rolle spielt Mehrsprachigkeit für Sie im Kontext von Diversität im Buch? 

Sprache ist eine Diversitätskategorie. Mehrsprachige Kinderbücher eröffnen Lesewelten, die sonst unerschlossen bleiben. Mit zweisprachigen Kinderbüchern kann ich die Erstsprachen wertschätzen. Die große Sprachenvielfalt, die Papperlapapp anbietet, ist einzigartig. Ich wüsste nicht, wo ich sonst Kinderbücher auf Tschetschenisch oder Albanisch finden könnte.
Ich habe die Hefte in unterschiedlichsten Kontexten verwendet. Gerne gebe ich sie Kindern mit nach Hause, mit dem Auftrag, sie mit den Eltern gemeinsam zu lesen. Dann kommt es zu bemerkenswerten Momenten, zum Beispiel hat ein Kind im Rahmen dessen festgestellt „dass der Papa ja lesen kann“ – eben in seiner Erstsprache. 

Carla Heher ist Volksschulpädagogin und Litaturvermittlerin in Wien. Auf Instagram, in Fortbildungen und als Sensitivity Readerin spricht sie über Diverse Kinderbücher.
Carla Hehers Website: https://diversekinderbuecher.com/ 
Carla Hehers Instagram: https://www.instagram.com/diversekinderbuecher/