Pädagogin Birgit Gasteiger über die Entstehung des Bildkartensets „Wie fühlst du dich?“ und dessen Besonderheiten

 
Frau Gasteiger, es gibt eine Menge Bildkartensets für Kinder auf dem Markt, die sich ausdrücklich mit Emotionen beschäftigen. Was hat das Set „Wie fühlst du dich?“, was die anderen nicht haben? Was ist aus Ihrer Sicht das Neue, das Besondere daran?   

In meiner Arbeit als Beratungslehrerin sind Gefühle ein Hauptthema. Da geht es um Fragestellungen wie etwa, welche Gefühle haben die Kinder, wie drücken sie sie aus, wie benennen sie sie, wie gehen sie mit ihnen um. 

Emotionskarten sind ein ausgezeichnetes Hilfsmittel, um solche Themen anzusprechen, aber mir wurde in der Praxisarbeit bewusst, dass die vorhandenen Karten gewisse Defizite haben. So sind einige der Gefühle oft nicht gut erkennbar. Ich denke da beispielsweise an eine Figur, deren Gesichtsausdruck Traurigkeit darstellen soll – aber es wirkt fast so, als hätte sie Angst. Das wird in der visuellen Umsetzung oft zu wenig deutlich herausgearbeitet.

Zudem ist in bestehenden Sets die Bandbreite der menschlichen bzw. kindlichen Gefühle nur zum Teil abgebildet: Da fehlen zum Beispiel Gefühle wie „sich schämen“ oder „sich schuldig fühlen“. Letzteres ist ja ein besonders wichtiges, nicht nur, weil es so unangenehm ist, sondern auch, weil es der Startpunkt sein kann, Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen bzw. es wiedergutzumachen.

In den üblichen Sets gibt es auch nur eine Karte pro Gefühl, das heißt, es wird nicht nach Geschlechtern unterschieden. Dadurch tun sich Kinder manchmal schwer, die jeweilige Emotion zu erkennen und vor allem auch, die Illustration mit sich selbst in Verbindung zu bringen. Trägt eines der „Gefühlsmonster“ zum Beispiel eine Haarmasche, können und wollen sich Buben damit in der Regel nicht identifizieren.

Im Unterschied zu anderen Sets sind die neuen Emotionskarten mehrsprachig. Das macht sie im Kontext der zunehmenden Sprachenvielvalt in der Praxis so besonders wertvoll. 

Vector Smart Object7

Wie kam es dann dazu, dass der Papperlapapp Medienverlag das Bildkartenset „Wie fühlst du dich?“ entwickelte?

Karin Hirschberger, die Herausgeberin von Papperlapapp, und ich sind sehr gut befreundet, wir tauschen uns über die Dinge aus, die uns beschäftigen, und irgendwann brachte ich die Schwachpunkte der mir bekannten Emotionskartensets zur Sprache.

Karin griff das auf, kontaktierte Artdirektorin Katrin Smejkal und Illustratorin Joanne Liu und briefte die beiden entsprechend. Zudem holte sie Maria und Philipp Schwärzler ins Boot, die beide im Bereich Kinder- und Jugendlichentherapie tätig sind und weitere, wertvolle Anregungen für die Konzeption der Karten einbrachten.

Jetzt ist das Ergebnis in Form von „Wie fühlst du dich?“ da, und ich finde, dass Katrin, – mit ihrer Sorgfalt und ihrem Know-how in Sachen Mikrotypografie, und Joanne – mit ihrem minimalistischen, zugleich ausdrucksstarken Pinselstrich und ihren gewitzten Details, die gestalterische Umsetzung hervorragend gelöst haben. Aus meiner Praxis weiß ich, dass Kinder Bilder akribisch genau betrachten. In Joannes Illustrationen erkennen sie die dargestellten Gefühle jetzt ganz unmittelbar und direkt.

Vector Smart Object7

„Wie fühlst du dich?“ besteht aus 16 Basis- und drei Sonderkarten (jeweils in zwei geschlechtsspezifischen Ausführungen). Was hat es mit den Sonderkarten auf sich?

Eine der Sonderkarten betrifft die „Unterstützung“ – ein Thema, das übrigens in den meisten Sets fehlt. Diese Karte ist deshalb so wichtig, weil sie aufzeigt, dass die Kinder auf Hilfe bzw. Begleitung zurückgreifen können, wenn sie sich in unangenehmen Gefühlszuständen befinden. Aber auch, wenn sie angenehme Emotionen mit den anderen teilen wollen, was sie wiederum als sehr bereichernd empfinden.
Wir wollen mit den Sonderkarten „Unterstützung“ vermitteln, dass es jemanden gibt, der da ist, der den Kindern beisteht, auf den sie sich verlassen können – sei es die Familie, die Peer Group oder die Pädagogin. Mit ihrer Hilfe können die Kinder nicht nur unangenehme Gefühle nach und nach wieder in angenehme verwandeln, sondern sich auch mit jenen auseinandersetzen, bei denen ihnen das besonders schwerfällt, wie etwa, wenn sie sich schämen oder schuldig fühlen.

Die Karte „Unterstützung“ kommt bewusst in zweifacher Ausführung, je nachdem, woher sich die Kinder ihre Unterstützung holen: zum einen bei den erwähnten Beziehungsmenschen – Joanne hat das anhand eines mehrschichtigen und -färbigen Herzens dargestellt. Wir haben übrigens lange gebraucht, um ein für die Kinder stimmiges Symbol dafür zu finden. 
Zum anderen gibt die zweite Unterstützungs-Karte den Kindern den Anstoß, sich mit sich selbst und den unterstützenden Dingen, Spielzeug usw. um sie herum zu beschäftigen. Sie tun das ohnehin, aber die Karte gibt ihnen eine zusätzliche Motivation dazu, so nach dem Motto: Mach etwas, das dir Freude bereitet, sei aktiv! Mach Bewegung, zeichne, lies ein Bilderbuch, spiel etwas, herze deine Kuscheltiere … Hierfür hat Joanne ein kleines Sammelsurium aus Dino und Teddy, Bilderbuch, Zeichenheft und -stiften, Spielzeug, Fußball usw. in ihre Illustration hineingepackt. Ich würde diese zweite Unterstützungs-Karte als Motivation zur Selbstfürsorge bezeichnen.

Vector Smart Object7

Die Anregung zu den beiden anderen Sonderkarten „okay“ und „Stopp!“ entstand aus der intensiven Arbeit mit den Kindern heraus?

Genau. Oft sagen die Kinder auf die Frage, wie es ihnen geht, nur „ganz normal“ oder eben „okay“. Den sechs- bis zehnjährigen Kindern, mit denen ich arbeitete, fiel auf, dass diese Antwort bei den meisten handelsüblichen Bildkartensets fehlt. Denn es gilt ja, auch das ganz Normale zu benennen. „Okay“ ist für die Kinder sowohl eine einfache Zustandsbeschreibung als auch ein sicherer Einstieg in ihre eigene Gefühlswelt. Für jene Kinder, die sich schwertun, ihre Emotionen zu benennen, wirkt das wohltuend und unterstützend.

„Stopp!“ wiederum bedeutet: Bis hierher und nicht weiter, ich setze Grenzen, ich will das nicht. Diese Karte hat sich als ausgezeichnete visuelle Ergänzung zum körperspracheorientierten sozialen Lernen bewährt. Die Kinder lernen, ihre Grenzen zu erspüren und dieses Gefühl dann auch auszudrücken. Ich vergleiche das gerne mit Obelix und seinem Hinkelstein: Nein sagen zu können zeugt zugleich von großer Stärke und der Fähigkeit, sich selbst wahrzunehmen. Im Übrigen fällt uns Erwachsenen ein „Stopp!“ ja auch nicht immer leicht.

Vector Smart Object7

Sie haben „Wie fühlst du dich?“ im Klassenrat und in Einzelgesprächen vorab getestet, ehe es in den Handel kam. Was waren Ihre Erfahrungen damit?

Ja, wir haben mehrere Monate lang mit einem Musterset gearbeitet, um zu schauen, was kommt an, was bewährt sich weniger gut, was können wir verbessern? Das Ergebnis: „Wie fühlst du dich?“ wurde von den Kindern sehr gut angenommen, die Illustrationen gefielen ihnen und waren für sie leicht identifizierbar. Die Buben haben sich generell mehr eingebracht als sonst, weil sie sich mit den gendermäßig auf sie zugeschnittenen Karten besser identifizieren konnten. Zusätzlich entdeckten die Kinder, dass sie damit gut Memory spielen konnten. 

Mir als Beratungslehrerin hat das Kartenset die Arbeit erleichtert, weil es die Bandbreite der Gefühle vollständiger wiedergibt, als das sonst der Fall ist. Ich empfinde es insgesamt als sehr stimmig! Das kleine Booklet, das mit dem Set mitgeliefert wird, gibt allen, die damit arbeiten möchten, wertvolle Anregungen zum Einsatz von „Wie fühlst du dich?“ in der Praxis.

Vector Smart Object8

Diplom-Pädagogin Birgit Gasteiger, Jahrgang 1957, begann als Volksschullehrerin und arbeitete dann 25 Jahre lang als Beratungslehrerin an Wiener Volksschulen.