Fünf Fragen an … Kinder- und Jugendpsychologin Karin Killer

 

Frau Killer, Maria Montessori meinte, dass Kinder zwischen dem 2. und dem 4. Lebensjahr eine sensible bzw. für Ordnung besonders empfängliche Phase durchlaufen. Stimmen Sie damit überein, oder ist dieses Konzept aus Ihrer Sicht überholt?  

Dem stimme ich zwar grundsätzlich zu, möchte aber den Zeitrahmen etwas weiter spannen. Kinder lernen stark durch Neugierde und Nachahmung, und im Alter von zwei, drei Jahren sind sie oft mehr an realen Dingen interessiert als an Spielzeug, sprich, mehr am echten Handy oder Kochtopf als an einer entsprechenden Atrappe. Zunächst erforschen sie ihre Umgebung: Beispielsweise werfen sie ihren Schnuller beim Kinderwagen hinaus und schauen, was passiert. Oder sie räumen die Küchenladen aus – und interessanterweise räumen sie sie genauso gerne wieder ein! Erst, wenn sich die Eltern über die ausgeräumten Dinge ärgern, erkennen sie, dass es einen Unterschied zwischen Ordnung und Chaos gibt. Daher ist es sinnvoller, die Eltern lassen das Ausräumen zu und „begleiten“ ihr Kind aber auch beim wieder Einräumen.

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Chaos versus Ordnung gilt als eines der klassischen Konfliktthemen zwischen Eltern und Kindern. Wenn das zutrifft: Wie kann der Spagat zwischen Chaos und Ordnung gelingen? An welchen Standards, welcher Richtschnur können sich Eltern orientieren? 

Das Beispiel mit der ausgeräumten Küchenlade macht deutlich, dass Ordnung machen plötzlich negativ besetzt, zur ungeliebten Pflicht wird, sobald die Eltern sie einfordern. Gerade noch hatte das Kind sowohl am Aus- wie auch am wieder Einräumen seine Freude – jetzt ist Letzteres auf einmal eine zu erbringende Leistung, ein Auftrag.
Es wäre konstruktiver, wenn die Eltern einen positiven Zugang zu beiden Vorgängen finden könnten. Hier spielt auch stark deren eigene Grundhaltung herein: Wenn die Eltern Ordnung selbst vorleben, werden sie ihrem Kind auch das Einräumen, um bei dem Beispiel zu bleiben, positiv rüberbringen können. Wenn sie es selbst als notwendiges Übel empfinden, können sie ihm auch das klarmachen, in etwa so: Okay, es macht jetzt keinen großen Spaß, aber bringen wir es doch gemeinsam hinter uns. Nimmt das Kind hingegen wahr, dass die Eltern selbst große Unlust beim Aufräumen verspüren, dann wird es den Vorgang sicher nicht nachahmen.

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Was können Eltern tun, um ihren Kindern eine Vorstellung von Ordnung nahezubringen? Ab welchem Alter, gibt es Regeln, praktische Tipps?

Zunächst einmal gibt es die unterschiedlichsten Vorstellungen von Ordnung, und oft genug spießt es sich da schon bei den Eltern untereinander. Ordnungskonzepte sind etwa an bestimmte Kulturkreise, Kontexte oder die jeweilige Persönlichkeit gebunden.
Die Vermittlung von Regeln bzw. Ordnung funktioniert im Grunde ganz simpel: Die Eltern machen es vor, und die Kinder lernen es durch Nachahmung. Wichtig ist dabei aber, auf die Kinder Rücksicht zu nehmen, sie in den Vorgang miteinzubeziehen – siehe mein Beispiel mit der Küchenlade.
Kinder erleben und erlernen Ordnung auch im Kontext des Grundthemas Sicherheit: Das Kind hat Hunger, bringt das zum Ausdruck, und die Eltern geben ihm etwas zu essen; oder es ist müde und wird daher zu Bett gebracht. Kinder entwickeln ein Gefühl von Sicherheit aus der Erfahrung daraus, dass ihre Bedürfnisse gestillt werden. Sie erleben Ordnung als das Zusammengehören von zwei Dingen: dem eigenen Grundbedürfnis und dessen Befriedigung durch die Eltern. So wachsen sie nach und nach in bestimmte Ordnungsstrukturen wie Essen, Schlafen und andere Regelmäßigkeiten hinein. Kontraproduktiv ist es in dem Fall, etablierte Assoziationen zu konterkarieren, also etwa, dem Kind zu essen zu geben, wenn es gerade müde ist.
Die Regeln in Sachen Ordnung werden heute flexibler gehandhabt als in früheren Zeiten, ein Beispiel: Früher hätte man seinem Kind gesagt, in deinem Kinderzimmer ist es jetzt still, du hast soundso viel Zeit, setz dich an den Tisch und mach deine Hausaufgaben. Ein solches Setting ist heute nicht mehr unbedingt die Regel, es ist beispielsweise kein Tabubruch mehr, auf dem Boden zu lernen – nicht einmal in der Schule. Der Zeitgeist ändert sich, und selbst von Familie zu Familie werden solche Dinge ganz unterschiedlich praktiziert. Wobei anzumerken ist, dass auch scheinbar „chaotische“ Familien ihre impliziten Regeln haben.
Praktische Tipps lassen sich leicht aus der jeweiligen Situation ableiten, zwei Beispiele: Wenn alles Spielzeug heraus- und keines wieder zurückgeräumt wird, dann hat das Kind vermutlich zu viele Spielsachen, die nur herumliegen und mit denen es gar nicht spielt. Wenn viel Spielzeug kaputtgeht, dann ist es vielleicht nicht alterskonform.

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Könnte es sein, dass zu viel Ordnung die Kreativität bzw. Produktivität hemmt? Besteht ein Zusammenhang zwischen Chaos und Kreativität, oder ist das eher eine Klischeevorstellung? 

Ich kann mir schon vorstellen, dass ein Buchhalter andere Ordnungs-Parameter hat als ein Künstler, aber man wird das wohl nicht verallgemeinern können. Ordnung ist das, was man für sich selbst als solche empfindet. Und keinesfalls gilt, meine Ordnung ist die richtige für alle. 

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Spielt Ordnung im weiteren Sinne – zum Beispiel in Form von regelmäßigen Essens- und Schlafenszeiten, Vorleseritualen, Pünktlichkeit usw. – insgesamt eine Rolle bei der kognitiven und sozialen Entwicklung von Kindern?    

Wie schon erwähnt, sind Rituale im Zusammenhang mit Grundbedürfnissen wie Essen oder Schlafen für Kinder enorm wichtig, weil sie ihnen ein Gefühl von Sicherheit und Vertrauen geben. Die Eltern werden als verlässlich und berechenbar wahrgenommen. Sicherheit und Vertrauen sind für uns alle, Kinder wie Erwachsene, Grundpfeiler, um uns in der Gemeinschaft gut zurechtzufinden. Wer sich sicher fühlt bzw. sich seiner selbst sicher ist, kann sich auch gut in die Gemeinschaft integrieren. Jene, die – der eine Pol – zu sehr bei sich sind, bzw. – der andere – sich zu sehr an die anderen verlieren, haben es da schwerer.

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Mag.a Karin Killer ist Psychologin und Psychotherapeutin in Wien und auf Kinder und Jugendliche sowie auf Schulschwierigkeiten spezialisiert.