Fünf Fragen an Autorin Renate Welsh
Frau Welsh, viele verbinden mit „Familie“ die Vorstellung von “heiler Welt“. Tatsächlich erleben wir Enttäuschungen, Konflikte, Zerwürfnisse. Warum wird familiäres Zusammenleben oft zur Herausforderung?
Gerade weil diese Beziehungen – sogar völlig im Widerspruch zur eigenen Erfahrung – mit so viel Hoffnung und Erwartung besetzt sind, ist die Kommunikation mit Verwandten oft besonders schwierig.
Ihre Papperlapapp-Geschichte „Sehr viel Familie“ zeigt verschiedenste Menschen, Verhaltensweisen und Gefühle, mit denen wir zurechtkommen müssen. Was sollte eine Familie unbedingt „können“?
Die wichtigste Funktion einer Familie wäre für mich, dass sehr unterschiedliche Menschen mit sehr verschiedenen Stärken und Schwächen doch etwas Wichtiges gemeinsam haben können. Eine Familie ist für mich erst dann Familie, wenn Platz für alle ist, auch für die, die einem eigentlich ganz schrecklich auf die Nerven gehen. Darf ich hier auch mit einem Erlebnis antworten? Ein Neunjähriger schrieb mir einmal, ich sollte ihm zehn Vamperln (Anm.: liebenswürdige Fantasiefigur aus Welshs erfolgreichster Buchreihe „Das Vamperl“, s. u.) schicken, dann würde er ein Engelchen und alle hätten ihn lieb. Ich fand das erschütternd. Was für eine falsche Vorstellung von Liebe!
Ihre Papperlapapp-Geschichte nimmt eine überraschende Wendung: Sie plädieren für eine Öffnung des Familienbegriffs. Meinen Sie, dass ein starkes Familienbewusstsein tendenziell andere ausgrenzt?
Ich behaupte, dass nur schwache Familien nicht imstande sind, sich für andere zu öffnen. Wirklich starke, in sich gefestigte Familien werden noch stärker, wenn sie mit dem völlig „anderen“ auch das „Fremde“ in sich selbst akzeptieren.
In ihrem neuesten Buch mit dem Titel „Kieselsteine“ beschreiben Sie die schwierige Familiensituation, in der Sie aufgewachsen sind. Welche Erlebnisse und Begegnungen waren bedeutsam für Sie?
Das Schrecklichste war das ewige Gefühl der Schuld am Tod meiner Mutter, später an allen Missstimmungen in der Familie. Meine Mutter verstarb an einer Hirntumor-Operation; ich, 4-jährig, glaubte, der Tumor wäre das Resultat meines Ballspiels, denn ich hörte stets: „Bitte sei leise, Mami hat Kopfweh.“
Aber ich hatte auch einen Großvater, der selbst dann, wenn er ganz und gar nicht einverstanden war mit dem, was ich tat, ohne den Schatten eines Zweifels zeigte, wie froh er war, dass es mich gab. Leider starb er, als ich acht war, aber in der Zeit, die wir gemeinsam hatten, hat er den Grundstein für vieles gelegt, das mir bis heute wichtig ist. Und es gab immer wieder Menschen, die mir zugehört haben, und die sich freuten, wenn ich ihnen zugehört habe.
In die Zukunft gedacht: Wie kann unser aller Zusammenleben besser gelingen?
Ich glaube immer noch, dass der Schlüssel zu allem in einer Bildung liegt, die vor allem von Achtung vor jedem einzelnen, seinen Stärken und seinen Schwächen, getragen wird; weil ich überzeugt bin, dass so ein gesundes Selbstbewusstsein – im Gegensatz zu einem kranken Egoismus – gefördert werden kann, in dem Platz für alle ist.
Renate Welsh, 1937 in Wien geboren, in Wien und Aussee aufgewachsen. Studierte Englisch, Spanisch und Staatswissenschaften, arbeitete als freie Übersetzerin und beim British Council in Wien. Autorin vieler Kinder- und Jugendbücher, am bekanntesten: „Das Vamperl“ und „Johanna“. Diverse Preise und Auszeichnungen wie Österreichischer Würdigungspreis, Würdigungspreis des Landes Niederösterreich für Literatur, Deutscher Jugendliteraturpreis, Österreichischer Staatspreis für Kinder- und Jugendliteratur, Theodor-Kramer-Preis, Preis der Stadt Wien für Literatur.
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